Hoarrachkogel

Der Grenzgendarm

Die 70er. Oder die 80er? Und wieder finden sie ein paar Männer im Wald. Durchnässt, zitternd, manch einer mit kleinem Kind. Asyl, Asyl, waren ihre Worte, daneben kein Wort Deutsch. Rumänen vielleicht? „Arme Teifl“ jedenfalls, soweit sind die Grenzer sich einig. Viele Schlepper nutzen das Waldgebiet am Hoarrachkogel zur Grenzüberschreitung. Er erzählte mir, dass die Bauern in Grenznähe fast alle einen Hund besaßen, und wenn all diese Hunde gleichzeitig nervös wurden, rief jemand den Grenzposten an, und die Chance war groß, am Kogel ein Häufchen bibbernder Flüchtlinge zu finden. Er und seine Kollegen bringen die Flüchtlinge in die Dienststelle, wo zu Spitzenzeiten an die fünfzig Menschen in den, für damalige Verhältnisse, gut ausgestatteten Arresten sitzen und warten. Auf Traiskirchen oder Schwechat. Kinder schreien. Ein diensthabender Kollege, oder er selbst, fährt um zwei oder drei oder vier Uhr Früh zur Apotheke in Strass, um Babynahrung zu kaufen, die dann in der Gemeinschaftsküche des Postens zubereitet wird. Kinder werden gewickelt. Im Lauf der Zeit werden alte Kleider gesammelt, damit sie „was Warmes“ haben. Er und seine Kollegen versuchen, ihre Arbeit möglichst menschenfreundlich abzuwickeln. Der Rekord liegt bei 2800 Asylwerbern im Jahr. Wie für ihn die Arbeit mit diesen Menschen war? „Schön. I man, schön…es war a prägende Zeit, weil ma halt wirklich die Not und das Elend, das die Leit auf sich nehmen, nur damit‘s daherkommen, miterlebt hat.“

Schon als Kind war er mit der Grenze vertraut, von Mureck kam er mit fünf Jahren hierher, rechtzeitig um die erste Klasse der Volksschule in Strass zu besuchen. Als Belastung empfand er die nahe Grenze nie, aber selbst als Kind spürte man sie. Nach Norden, Osten, Westen freies Land, und im Süden plötzlich uniformierte, bedrohliche Wächter. Als ebensolches Kind überquerte er mit seiner Familie schon die Grenze nach Jugoslawien, um dort einzukaufen. Mineralwasser, Fleisch, billige Lebensmittel aller Art. Und auch wenn die Grenze kein eiserner Vorhang war, war es ein Abenteuer, sie zu passieren. Genaue Passkontrollen, Autoinspektion, ein paar hundert Meter nach der Grenze eine andere Welt, als er sie kannte. Und beim Zurückfahren dieselbe Leier in anderer Uniform. 1968 war er selbst soweit und junger Grenzgendarm, der Autos inspizierte. Mit Flüchtlingen arbeitete. Über den Bubenberg, den Hoarrachkogel, patrouillierte und dabei auf Grenzsoldaten traf, ihnen vielleicht eine Zigarette anbot, so diese aus abverlangter Korrektheit ihren Vorgesetzten gegenüber überhaupt einen Gruß zu erwidern wagten. Oder auf dem Weg Kastanien oder Pilze sammelte, wenn die Saison stimmte. Diese Kontrollgänge durchs Grün wurden dementsprechend weniger als unangenehm oder gar gefährlich empfunden, sondern vielmehr als willkommene Abwechslung zum eintönigen Straßendienst in Spielfeld als Transit- und Staupunkt durch die Gastarbeiterströme, die Richtung Mitteleuropa flossen.

Heute ist er in Pension. Er trifft sich noch immer mit seinen alten Kollegen, beiderseits der Grenze. Aus der reservierten Arbeitsfreundschaft, die wohl hauptsächlich einer erfolgreichen Abwicklung des Tagesgeschäfts diente, mit korrektem Kegelabend und entsprechender Gegeneinladung beider Seiten, wurde eine nicht so reservierte, private Freundschaft.  Auch findet am 2. Juli ein Gedenktag statt, bei dem seit 22 Jahren der schlimmsten Gefechte in Grenznähe gedacht wird, bei denen die Kollegen südlich der Grenze ihre Fahrzeuge, und ihr Leben, in Sicherheit gebracht hatten. Es singt der kleine Männergesangsverein von Šentilj die slowenische Hymne und einige andere feierliche Lieder, und zwischen 15 und 20 Männer, die zu dieser Zeit ihren Dienst verrichteten, essen, trinken und gedenken. Gerade auch der Veränderung, die sich in diesen 22 Jahren ereignet hat. Die Grenze ist offen, und die Menschen sind wieder echte Nachbarn. Und je mehr Zeit verstreicht, desto geringer werden die Differenzen. Auch die Sprachbarriere, die durch die Trennung nach dem ersten Weltkrieg entstand, schwindet seiner Meinung nach zusehends, vor allem durch die weitverbreiteten Englischkenntnisse unter den Jüngeren. Dass nördlich der Grenze kaum jemand Slowenisch spricht, empfindet er trotzdem als kleines kulturelles Manko. Man habe sich immer darauf verlassen, dass eh alle Deutsch sprächen, und ebendiese Sprachbarriere müsse noch aufgebrochen werden, was aber auch mindestens eine Generation dauere. Er sieht die Zukunft um den Bubenberg ausgesprochen positiv, und das Verhältnis der in dieser Region lebenden Menschen als besser und immer besser an.

Heute braucht man keinen Grenzübertrittsschein mehr, ein Ausweis und ein paar Wanderschuhe, wenn überhaupt Wanderschuhe, sind genug, um von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang beliebig und ungehindert über die Grenze zu spazieren. Seit er pensioniert ist, geht er kaum mehr auf den Hoarrachkogel. Die Weinstraße im Westen hat es ihm eher angetan. Dort gibt es mehr Labestationen und weniger Urwald. Noch würde es sich auch kaum lohnen, am Kogel eine solche aufzubauen. Er sagte mir, der Betrieb dort sei dafür noch zu bescheiden.

Noch.

Franz Tscherner, 08. September 2013, Straß

Leave reply

Back to Top